#OMAGATE

22. Januar 2020

Es gibt Ereignisse, in denen sich der spezifische geistige Zustand einer Gesellschaft derart bündelt, dass dessen wahrer Charakter mit einem Mal besonders drastisch zum Vorschein kommt. Solchen Ereignissen liegen, gemessen an der frappierenden Wirkung, die sie sozial entfalten, zumeist eher marginale, relativ unbedeutende Vorkommnisse zugrunde, die allerdings wie Zünder wirken, den Oberflächenschein von den gesellschaftlichen Verhältnissen absprengen und die eigentlichen, sonst eher im Verborgenen wirkenden Energien und Gefühle, die die Bürger in ihrem Denken und Fühlen an- und umtreiben, gnadenlos ans Licht der Öffentlichkeit befördern. Und dies so eindeutig und unmissverständlich, dass kein Interpretationsspielraum mehr übrigbleibt, die Dinge, wie mittlerweile so üblich, nach rechts oder links hin zu biegen, weil solche Ereignisse den mentalen Gesamtzustand der Gesellschaft jenseits aller politisch-ideologischen Haltungen erschreckend klar vor Augen führen.

Mit #OMAGATE ist der Gesellschaft gerade wieder einmal solch ein im Grunde völlig nichtiges, aber offenbar überaus wirkmächtiges Ereignis um die Ohren geflogen, dessen bizarre Nachwehen die Bürger dieser Tage noch immer gehörig auf Trab halten. Allerdings sind deren kopf- und herzlosen Verhaltensweisen, die sie dabei an den Tag legen, kaum mehr nachvollziehbar, und haben mittlerweile derart verwirrende Züge angenommen, dass eine Diagnose dringend erforderlich erscheint, um das pathologische Gebaren des Bürgers, das das gesellschaftliche Miteinander auseinanderreißt, überhaupt noch einigermaßen verstehen oder einordnen zu können.

Die Welt ist krank!
Der Müll ist überall, auch in uns!
Der ganz normale alltägliche Wahnsinn!

Wischiwaschi-Diagnosen dieser Art, die sich im Vagen oder Larmoyanten verlieren, helfen da jedoch nun wahrlich nicht weiter und offenbaren lediglich die allgemeine Rat- und Hilflosigkeit dem die Gesellschaft zersetzenden Geschehen gegenüber, das ungebremst seinen Verlauf zu nehmen scheint, sich immer weiter ausbreitet und offenbar von niemandem gestoppt werden kann.

In diesem Zusammenhang ist es allerdings von großer Bedeutung, dass es offensichtlich überhaupt nichts nützt, vom Bürger mehr Empathie und Solidarität einzufordern, oder ihn gar ernsthaft dazu bewegen zu wollen, sich entschlossen dem allseits grassierenden Rassismus entgegenzustellen, wie es gegenwärtig die Politik gebetsmühlengleich versucht (MEHR DEMOKRATIE WAGEN!) und dabei völlig ratlos, ja manchmal nachgerade ohnmächtig erscheint – von den irrsinnigen Turbulenzen, die das öffentliche Leben durcheinander wirbeln, offensichtlich total überfordert.

Dabei scheint es der Politik völlig zu entgehen, dass der Bürger für derartige Parolen offenbar kein Ohr mehr hat, da er als Monade nur noch mit sich selbst beschäftigt scheint und damit ohnehin schon mächtig überfordert wirkt. Wie besessen wirft er sich in die Arme des allgegenwärtigen konsumnihilistischen Allerleis und versucht sich mit Fitness, Diät, Fashion, Lifting und Lifestyle über Wasser zu halten, wobei er auch in diesen sinnentleerten und aufgepeppten Regionen einsam bleibt, so wie im Leben sonst, kommt es dort doch ebenfalls nur auf den Einzelkämpfer an, der sich auf dem Laufband die Lunge aus dem Hals rennt, oder sich bäuchlings einer Thaimassage hinzugeben versucht, oder es irgendwann sogar mit Bungee-Jumping probiert, um es den anderen einmal so richtig zu zeigen. Der Bürger von heute ist, wenn überhaupt, mit sich solidarisch – Offenheit und Achtsamkeit den anderen gegenüber ist für ihn Schnee von gestern.

Der wie ein Zwang wirkende Irrglaube aber, sich angesichts seiner inneren Bedrängnis mit einem mechanischen und durchdesigntem Selbstoptimierungsprogramm auf die Sprünge helfen zu können, kann nur schief gehen und zieht in ihm zwangsläufig nichts als Unzufriedenheit, Missmut, Erschöpfung und innere Leere nach sich und bewirkt dieserart das glatte Gegenteil: Der Bürger verfettet, und das nicht nur körperlich, sondern vor allem auch mental. Den Schlüssel zu seiner Genesung könnte der Hilflose dagegen nur in seinem Inneren finden und nicht im Außenraum seines mittlerweile völlig durchorganisierten Alltags, von dem er sich jede Minute abzuzwacken versucht, um seinem Ichwahn zu frönen.

Der Frust und die Ungeduld des Bürgers wachsen ins Bedrohliche an. Und dies nicht nur dann, wenn ihm das Geld für das Optimierungsprogramm und den entsprechenden Lifestyle fehlt – nein, alle scheinen von dieser Volkskrankheit betroffen und deshalb auch immer unfähiger, sich auf die Dinge noch wirklich einlassen zu können. Der Bürger der Gegenwart wirkt müde und abgekämpft und scheint das Vertrauen in die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verlieren. Und dies wohlgemerkt auf dem Boden einer gesellschaftlichen Grundordnung, die sich der Demokratie verdankt und eo ipso all ihre Karten auf einen aufgeklärten und vernünftigen Bürger setzt.

Der aber hat sich in Luft aufgelöst: Übrig geblieben scheint ein eher lebensskeptisches und argwöhnisches Subjekt, das den anderen grundsätzlich misstraut und das gesellschaftliche Geschehen zumeist eher mit skeptischen Augen verfolgt – stets wie wahnhaft auf der Lauer, dass etwas passiert, was dessen paranoiden Vorurteilen gemäß nie hätte passieren dürfen. Und dieses Subjekt scheint seltsam verwirrt und wie neben sich zu stehen: „Die Verrückten hast du eingesperrt, der Normalmensch verwaltet diese Welt. Wer also ist an allem Übel schuld?“, fragt Wilhelm Reich in seiner Rede an den Kleinen Mann?

Die Symptome allerdings, die im Verhalten des Bürgers zum Vorschein kommen, deuten auf eine Psychose hin. Auf eine Erkrankung also, die die Lebenswirklichkeit des Patienten spaltet, indem sie tief in dessen Innerem eine unüberbrückbare Wand zwischen ihm und der Außenwelt errichtet, sodass dessen nun eingesperrtes und sich selbst ausgeliefertes Ich aus panischer Angst immer orientierungsloser und konfuser wird.

Die psychodynamischen Konsequenzen, die sich aus solch einem seelischen Ausnahmezustand ergeben, sind dramatischer Natur: Denn mit der Zeit zerfällt dem Psychotiker die Realität allmählich in lauter Fragmente, die er sinnhaft nicht mehr zusammenzubringen weiß, weshalb ihm die Wirklichkeit so auch immer verstörender, fremder, ja feindlicher erscheint und ihn schließlich zum Opfer seiner Verfolgungsängste werden lässt, die finster in ihm aufsteigen und ihn bald wahnhaft übermannen. Auf diese Weise gerät ihm das Leben draußen immer mehr zum Albtraum, der in seinem paranoiden Erleben allerdings immer realere Züge annimmt.

WHAT IS REAL?
WHAT’ IS FAKE?

An solch einer Art Realitätsverkennung scheint auch der Bürger heutzutage zu leiden, dem die freie Sicht auf die Dinge und gesellschaftlichen Verhältnisse von seinem Argwohn und Selbstzweifel verstellt werden.

Der chronische Realitätskonflikt aber, in dem er sich so verfangen hat, findet im Phänomen des Cyberspace, der dem Bürger offenbar zum Lebensmittelpunkt geworden ist, seine fatale Parallele, vermag dieser doch zwischen Realität und Fiktion mittlerweile schon kaum mehr zu unterscheiden. Wobei ihm die Sphären des Cyberspace nicht selten schon wie wirklich vorkommen, die realen Dinge hingegen wie künstlich und fremdartig. Diese Wahrnehmungsverschiebung aber kann mit der Zeit nicht nur für den Psychotiker, sondern auch für den Bürger zur Falle werden – dann nämlich, wenn sich dessen krankhafte Verwirrung ins Wahnhafte steigert, und er schon bei jeder Kleinigkeit nur das Schlimmste vermutet.

Das Auseinanderdriften von realer Bedrohung und subjektiver Reaktion, die Tatsache also, gleich über zu reagieren und schon beim geringsten Anlass aus der Haut zu fahren, scheint gegenwärtig eine gängige Verkehrsform des gesellschaftlichen Zusammenlebens geworden zu sein, an die man sich offenbar schon gewöhnt hat, ist es doch der chronisch aufgebrachte und genervte Bürger, der dieser Tage das öffentliche Bild der Gesellschaft nicht unwesentlich bestimmt. Dessen Empörung scheint sich vom Anlass völlig abgekoppelt zu haben und droht zu seiner Grundhaltung zu verkommen. Und im Cyberspace scheint er den geeigneten Raum dafür gefunden zu haben, dieser freien Lauf zu lassen.

Die Ängste aber, die solch einem Erleben und Verhalten zugrunde liegen, sind nicht psychotischer, sondern ihrem Charakter nach eher bürgerlicher Natur: Denn während der Psychotiker tatsächlich Monster zu sehen glaubt, vermutet sie der Bürger hinter jeder Ecke, ohne allerdings je eines wirklich gesehen zu haben. Der Bürger hat Angst vor der potentiellen Gefahr, die für ihn mittlerweile reale Züge trägt – sie lauert überall und allenthalben. Es ist die blanke Existenzangst, die ihn beherrscht und im Grunde auch wesentlich charakterisiert. So lebt der Bürger in beständiger Angst, alles zu verlieren. Wenn er ehrlich ist, sieht er sich schon manchmal in der Gosse sitzen.

Aus diesem Grund ist der Bürger auch nicht unbedingt derjenige, der gerne voranschreitet. Den Schritt nach vorn, der ihn ja ins Ungewisse oder gar ins Elend führen könnte, überlässt er besser anderen. Lieber hätte er da jemanden, der ihm sagt, wo’s lang geht. Aus diesem Grund ist der Bürger in aller Regel auch eher ein rechter Feigling, der nur ungern etwas auf die eigenen Schultern nimmt und etwas riskiert. Dabei aber ist er wahrlich kein harmloser Geselle, denn je unsicherer das Leben, desto unberechenbarer droht er zu werden.

Tiefe Verunsicherung und latente Lebenspanik rumoren mittlerweile im Innenleben des Bürgers, dessen Aggression, Neid und Hass in seiner Erscheinung immer deutlicher und vehementer zum Vorschein kommen: Seine Charaktermaske fällt und seine Hemmungen schwinden und überschwemmen in der Folge auch dessen Urteilsvermögen mehr und mehr mit dumpfen, irrationalen Gefühlen, die ihn die Welt nicht selten schon von feindlichen oder gar bösen Kräften unterwandert sehen lassen. Der aber versucht sich zu wehren und hält dagegen, indem er unermüdlich eine Verschwörungstheorie nach der anderen in die Welt setzt und sich anschickt, diesen im Cyberspace zu voller Wirkung zu verhelfen. Darüberhinaus glaubt er aber anscheinend auch in der Political Correctness das probate Mittel dafür gefunden zu haben, die Welt zu domestizieren und sie mit seiner verdammten Zwangsmoral wieder in den Griff zu bekommen, denn ohne festgezurrte Regeln und erstarrte Prinzipien scheint er offenbar nicht mehr zurechtzukommen, auch wenn diese seinem Leben allmählich das Leben nehmen.

Auf diese erbärmliche Art und Weise ist der Bürger nun zum Generalangriff auf die Gesellschaft übergegangen und setzt damit natürlich auch die Politik gehörig unter Druck. Deren Wehrhaftigkeit aber scheint geschwächt, denn sie hat Angst vor dem Bürger bekommen. Dies aber ist dem Bürger offenbar nicht entgangen, der sich dadurch nur angespornt fühlt und noch aufmüpfiger und resistenter wird, was die Politik wiederum noch kopfloser und ängstlicher werden lässt. Die hehren Werte aber, um die es wirklich geht und für die der Bürger kämpft, sind ihm im Herzen zu leeren Hülsen vertrocknet, die er nur noch mit seiner Angst und Frustration zu füllen weiß, nur um diesen wenigstens etwas Kontur zu verleihen: Der Bürger braucht Sicherheit und Ordnung und hat Angst, was soll er sagen?

Die Angst aber können ihm die gesellschaftlichen Institutionen natürlich nicht nehmen, wie sollten sie auch? Und diese Tatsache scheint auch der eigentliche Grund dafür zu sein, warum diese für den Bürger jegliche Legitimation verloren haben, und von ihm nur mehr als korrupt, repressiv und verlogen erachtet werden. Zu diesen Institutionen zählen natürlich vorrangig die öffentlich-rechtlichen Medien, die ihn beständig mit schlimmen Nachrichten bombardieren, und selbstredend auch der Staat, dessen Beamte, seien sie nun aus der Kommunalpolitik, der Polizei oder dem Rettungswesen, dieser Tage immer häufiger attackiert werden und nicht selten sogar um ihr Leben fürchten müssen, wobei die Sanitäter ja nur deswegen unterwegs sind, um das Leben anderer zu erhalten. Der Unwille und Hass des Bürgers sind zum Automatismus verkommen.

So eben, wie gerade bei #OMAGATE, dessen Hergang und erschreckende Dynamik den allgemeinen Geisteszerfall der Gesellschaft wieder einmal erschreckend deutlich vor Augen führt, und dabei auch das mittlerweile völlig engstirnige und nachgerade mechanisierte Sozialverhalten des aus der Spur geratenen Bürgers dokumentiert: Ein sattsam bekanntes Geschehen, das sich wie eine dummdreiste Abfolge von Verhaltensklischees liest, die der Bürger gegenwärtig an den Tag legt und offenbar zu nichts anderem mehr fähig scheint. Ein krudes Abziehbild all jener Empörungswellen, die mittlerweile beinahe täglich das gesellschaftliche Miteinander in gekünstelte Aufregung versetzen, immer der gleichen vulgär-konformen Dramaturgie folgen und zivilcouragierte Abweichler mit hirnlosem Unrat bewerfen und jenen dabei auch immer öfter nach Leib und Leben trachten.

In diesem Sinne hat auch #OMAGATE den für derartige Empörungswellen typischen Zünder. Diesmal in Gestalt eines alten und wahrlich trivialen Gassenhauers, der als Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad aus den frühen 30er Jahren allseits bekannt ist und nun in einem Videoclip vom Dortmunder Kinderchor des WDR einen neuen Text erhalten hat, der sich – man höre und staune – ausschließlich dem Klimawandel widmet. Dabei sollte man wissen, dass das besagte Oma-Lied im Verlauf seiner Geschichte mit immer wieder neuen Textvarianten unterlegt wurde, da es den Kinder offenbar einen Höllenspaß bereitete, mit diesen noch nie gehörten Omastrophen die Welt immer wieder aufs Neue zu ergötzen, die allerdings – wie eine infantile Erkennungsmarke – stets mit dem gleichen Refrain endeten: Meine Oma ist 'ne ganz patente Frau.

Schon die Textversion aus dem Jahre 1958 aber, also aus der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland, abgedruckt in einem Liederbuch, das auch noch Der Zündschlüssel hieß, mutete der Oma schon damals so einiges zu und beleidigte sie, wie man nur konnte, nicht zuletzt auch wegen ihrer geistigen und körperlichen Gebrechlichkeit. Diese Tatsache aber schien sich auch zur damaligen Zeit dem stink-normalen Generationskonflikt zwischen Alt und Jung zu verdanken, den jede Gesellschaft zu jeder Zeit auszugleichen hat, weil dieser Konflikt – schon allein aus rein biologischen Gründen – ganz einfach zum gesellschaftlichen Miteinander gehört, den die Kindern noch spielerisch, die Pubertierenden hingegen schon ernster nehmen, da diese ihr eigenes Leben führen und partout nicht in die Fußstapfen der Älteren treten wollen. Das aber scheint sich gewaltig geändert zu haben, denn gegenwärtig werden die Kinder ja schon von Helikoptereltern rund um die Uhr überwacht und Pubertierende nehmen es nicht mehr so genau und bleiben heutzutage lieber zuhause.

Und dennoch, selbst die Strophen aus dem Jahr 1958, die sich hemmungslos über die Oma lustig machen durften, hätten heutzutage partout keine Chance mehr, einfach so hingenommen zu werden, und würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit augenblicklich für heftige Shitstorms sorgen und vermutlich sogar der gegenwärtigen Forderung, die Strafmündigkeit der Jugendlichen auf 14 Jahre herabzusetzen, reichlich Futter geben:

Meine Oma hat im hohlen Zahn ein Radio.
Meine Oma hat ’nen Nachttopf mit Beleuchtung.
Meine Oma hat ’ne Glatze mit Geländer.
Meine Oma hat ’ne Brille mit Gardinen.
Meine Oma hat ’nen Petticoat aus Wellblech.

Aber auch die Hunderte von Strophen, die seitdem hinzukamen, sind nun wirklich nicht von schlechten Eltern und würden dieser Tage wegen der ungeheuren Zumutung, die in ihnen auf absehbare Art und Weise gesehen würde, von der Gesellschaft ebenfalls schwer gebrandmarkt – dies allerdings aus den unterschiedlichsten Gründen:

Meine Oma hat ´nen Löffel mit Propeller. – Wer bitte denkt hier an die Mitinsassen der Oma im Pflegeheim, wenn es mittags Grießbrei gibt? Diese Sauerei wäre bei all dem gegenwärtigen Mangel an Pflegekräften nun wirklich nicht mehr zu bewältigen.

Meine Oma hat Klosettpapier mit Blümchen. – Das geht vielleicht gerade noch, denn immerhin sind gedruckte Blümchen neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge deutlich weniger giftig als HAKLE FEUCHT.

Meine Oma guckt die Tagesschau mit Fernrohr. – Wenn das nicht wieder einmal gegen die Öffentlich-Rechtlichen geht, die für die altersbedingte Sehschwäche der Oma nun wahrlich nicht verantwortlich gemacht werden dürfen. Gott sei Dank gibt es diese Sender noch, bei all dem Schwachsinn.

Meine Oma fährt im Nachttopf auf der Elbe. – Derart hämisch über Alzheimerpatienten herzuziehen, geht nun überhaupt nicht. Denn selbst wenn sich die Oma einmal auf dem Wasser verirrt haben sollte, so hat sie dann doch wenigstens ihren schwimmenden Untersatz dabei, der sie vor dem Ertrinken rettet: Glück im Unglück. Außerdem sollten die Kinder besonders in diesem Fall besser ihr Maul halten und ehrlicherweise zugeben, dass sie selbst nicht schwimmen können und gerade in solch einer lebensgefährlichen Situation über jeden Nachttopf Gott dankbar wären.
 
Meine Oma macht aus Kuhdreck Marmelade. – Das ist einfach nur widerlich. Selbst wenn alle Suche nach einem vernünftigen Fleischersatz im Endeffekt ergebnislos bleiben sollte und ansonsten auch die Nahrung knapp werden würde, dürfte selbst dann eine solche Schweinerei von Ernährungsersatz von keiner Oma je unter irgendwelche Leute gebracht werden. Nicht zuletzt auch um einer dann sicherlich drohenden Koprophilie-Epidemie unter Zuhilfenahme aller nur erdenklichen Gesetze entschieden entgegenzuwirken.

Meine Oma hat ’nen Goldfisch, der raucht Pfeife. – Warum nur strengt sich alle Welt an, endlich die öffentliche Zigarettenwerbung komplett aus dem Verkehr zu ziehen, um unsere Kinder vor der Nikotinsucht und die Jüngeren vor dem Lungenkrebs zu bewahren, wenn jetzt schon Fische rauchen?

Meine Oma hat ein Himmelbett mit Brause. – Das klingt ja so, als ob Oma schon halb im Himmel wäre, das Bett nicht mehr verlassen könnte und auf eine sicher von Japanern erfundene Bettdusche angewiesen wäre, um jederzeit einigermaßen frisch ins Jenseits abwandern zu können. Aber aufgepasst Kinder, schließlich haben die Japaner ja schon die heizbare Klobrille erfunden. Aber auch über die sollte man nicht gleich wegen des Atomstroms, an dem deren Brillen da hängen, den Stab brechen, schließlich waren die Japaner ja schon im 2. Weltkrieg unsere Partner.

Meine Oma fährt im Panzer zum Finanzamt. – Was soll das? Will man hier der Oma auch noch eine hochkriminelle Haltung unterschieben? Aber bei allem, wie bitte sollte die Oma so auf die Schnelle einen Panzer herkriegen? Da müsste ihr Schwiegersohn ja mindestens General bei der Bundeswehr sein. Und dass es der Panzer jetzt auch schon nur mehr bis zum Finanzamt schafft, ist kaum zu glauben und scheint leicht übertrieben.

Meine Oma hat ein Waschbecken mit Sprungbrett. – Diese Strophe ist wahrhaft hinterhältig, weil sie bösartig mit völlig harmlosen Wörtern spielt. Die Oma hat einen SPRUNG IN DER SCHÜSSEL – das ist es doch, was in Wahrheit zwischen den Zeilen stehen soll! Den Sprung aber haben die Kinder, die solch üble Nachreden in die Welt setzen.

Die allerschlimmste Strophe ist jedoch diejenige, die der ohnehin schon schwer gebeutelten Oma einen Parasiten anzudichten versucht, mit dem sie aufgrund ihrer Verwirrung praktisch schon per Du sei: Meine Oma hat 'nen Bandwurm, der gibt Pfötchen, gibt Pfötchen, gibt Pfötchen, Meine Oma ist 'ne ganz patente Frau. – Welch Unverfrorenheit! Möglicherweise ist der Bandwurm ja das einzige Lebewesen, das der Oma in all ihrer Einsamkeit noch geblieben ist?

Der brandneue Text des WDR-Kinderchores aber, der so unnötig ist wie ein Kropf und so öde, dass selbst die Haare aufhören zu wachsen, macht aus der fiktiven Oma jetzt einfach eine hilflos-dümmliche Projektionsfläche der allgemeinen Klimahysterie, nur um auch mit dabei zu sein und dichten der Oma dabei allerlei Idiotisches an, von dem nun keiner denken würde, dass jemand dies ernst nehmen könnte.

So fährt die Oma jetzt zwar immer noch im Hühnerstall Motorrad, Motorrad, Motorrad, verbraucht dabei aber auf einmal 1000 Liter Super jeden Monat. 1000 Liter Super jeden Monat allein im Hühnerstall, da kann doch etwas nicht stimmen? Und doch: Die aktuelle PISA Studie scheint recht zu haben, wenn sie den deutschen Schülern schwere Mängel im Rechnen unterstellt.

Die Strophe Meine Oma sagt, Motorradfahren ist voll cool. Sie benutzt das Ding im Altersheim als Rollstuhl tut man besser gleich zum Übrigen. Und auch über die nächste, in der die Oma dann im SUV beim Arzt vorfährt, und dabei zwei Opis mit Rollator überfährt muss man wahrlich nicht groß reden. Dann brät sie sich noch jeden Tag ein Kotelett, weil Discounterfleisch so gut wie gar nichts kostet und ist nebenbei auch noch pausenlos auf dem Schiff unterwegs, fliegt nicht mehr und ist offenbar geläutert, macht sie jetzt doch zehnmal im Jahr ‘ne Kreuzfahrt. Meine Oma ist doch keine Umweltsau! so lautet dabei auf einmal der Refrain, als hätte das Kreuzfahren die Oma mit einem Mal bekehrt.

Wie das jetzt? Hirnrissiger geht’s kaum mehr. Denn Kreuzfahrer sind die Pest, denen geht die Natur doch nun wirklich am Arsch vorbei. Völlig ignorant verpesten sie die Luft und überschwemmen darüber hinaus auch noch den Globus mit ihrem Plastik- und Aluminiumdosenmüll. Verdammt, da hätte sich doch wenigstens irgendein WDR-Praktikant bitte vorher einmal kurz über den Text beugen sollen.

Am Ende aber geht dieses hohle und lächerliche Klimaengagement vollends in die Hose und gerinnt zum puren Sozialkitsch: We will not let you get away with this! singen die Kinder da auf einmal mit plötzlich furchtbar ernstem Gesicht. Der Satz stammt natürlich von Greta Thunberg, wie könnte es dieser Tage auch anders sein. Idiotischer geht es wirklich nicht mehr. Wer bitte wollte sich über eine derartig dürftige Klamotte schon aufregen? Doch dass auch selbst eine solche Nullnummer in der hochaufgereizten Gesellschaft zündet, war leider absehbar.

Kurz nachdem die eineinhalbminütige Studioaufnahme des WDR-Kinderchores am Tag nach Weihnachten bei Facebook online geht, bricht die Hölle in den SOCIAL MEDIA los. Wieder einmal scheint die Dauerregung des Bürgers frisches Futter gefunden zu haben, dem die Empörung offenbar zur Hauptbeschäftigung geworden ist. Und der trifft – empörungserfahren wie er mittlerweile ist – natürlich gleich ins Schwarze, indem er dem WDR geistigen Kindesmissbrauch andichtet, was praktisch ja schon unter ME TOO rangiert: „Gab es das nicht früher in Diktaturen – Volkserziehung über „Comedy“/Theater?“, twittert ein Erregter, wobei es dahingestellt sei, ob es je eine Diktatur in der Geschichte gab, die sich ihre Untertanen durch Comedy herangezüchtet hätte.

Und dennoch, wie selbstverständlich reagiert der WDR so prompt, als hätte ihn der Bürger am Schlafittchen gepackt und endlich in flagranti erwischt, gibt sich dabei jedoch alle Mühe, die Sache mit der Omaumweltsau wieder in den Griff zu kriegen und sie im gewohnten Betroffenheitston herunter zu kochen. Allerdings wiederum in Facebook, wo noch jedes Statement schonungslos im Strudel von Millionen Meinungsblasen versinken muss: Bei dem Clip der Oma-Umwelt-Sau hätte es sich um eine Satire (!) gehandelt, stottert der Sender, der besser gleich zugegeben hätte, dass das idiotische Filmchen nichts anderes als ein Rohrkrepierer sei.

Stattdessen aber begrüßt der WDR „die sehr unterschiedlichen Reaktionen“ (DEMOKRATIE HEISST MEINUNGSFREIHEIT!), lässt seine Hörerinnen und Hörer dabei allerdings auch schmallippig wissen, dass ihn der Vorwurf, die beteiligten Kinder seien „instrumentalisiert“ worden, schwer betroffen gemacht habe. Fehlte nur noch, dass einige der Bürger dem Sender von Anfang an körperlichen Kindesmissbrauch vorgeworfen hätten, dann hätte dieser sicher nicht mehr anders reagieren können, als diesem Vorwurf unbedingt nachgehen zu wollen, da der WDR-Chorleiter möglicherweise pädophil sei. Und wenn? Nicht auszudenken. Der WDR hätte wegen Bombendrohungen geräumt werden müssen.

Wollt ihr die Alten etwa vernichten? So tönt es hingegen von anderer Seite. Kein Wunder, hatte doch kurz vorher ein offenbar jüngerer Bürger im Netz schon behauptet, die Alten wären kein Problem, die würden ja ohnehin übermorgen ins Gras beißen.

Die Oma spaltet Deutschland! schaltet sich wie zu erwarten jetzt auch die Demoskopie ein, um die sensationsgeilen Bürger im Land über den aktuellen Pegelstand der aktuellen Empörungswelle zu informieren. Wobei die sogenannte Demoskopie mittlerweile nur noch die Political-Correctness-Sprüche der Bürger misst, da ja keiner von denen wirklich noch den Mut hat freiwillig zuzugeben, schon seit geraumer Zeit Plastiktüten zu sammeln, da es bald keine mehr gäbe. Und siehe da, das was bei dieser pseudoaktuellen Volksbefragung herauskommt, weiß eh schon jeder und dokumentiert lediglich die fatale mentale Starre der Gesellschaft, die allmählich an ihrem nachgerade psychotischen Gebaren erstickt:

32,1 % der Befragten finden die Kritik nicht gerechtfertigt. 58 % sagen, sie ist gerechtfertigt. 9.9 % sind unentschieden. Besonders Wähler der AfD halten die Kritik für berechtigt, hier entschieden sich 91 % für „Ja“. Auch Unions-Wähler halten die Kritik mehrheitlich für berechtigt, 75,1 % votierten mit „Ja“. Starke Abweichungen im Trend gibt es bei den jüngeren Personengruppen. So stimmten 51,9 %der Personen, die sich noch in Ausbildung befinden, für „Nein, die Kritik ist nicht berechtigt“. Im Vergleich: Bei der Personengruppe der Rentner antworteten 65,8 % mit „Ja“.

Und jetzt kommt endlich auch die Politik ins Spiel und konstatiert moralinsauer, der WDR habe mit seiner Omaumweltsau die Grenzen des Stils und des Respekts gegenüber den Älteren weit überschritten. Es ist der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet, der da versucht, auf Twitter diesen abgestandenen Gedankenbrei loszuwerden, indem er freimütig bekennt, zutiefst besorgt zu sein: „Jung gegen Alt zu instrumentalisieren ist nicht akzeptabel“, predigt er postend. Zugleich wehre er sich dagegen, dass die Kritik am „Umweltsau“-Lied des WDR-Kinderchors als „rechts“ diffamiert würde und warnt ausdrücklich davor, die Generationen gegeneinander aufzuhetzen.

Wer in einer Diskussion eine andere Auffassung vertrete, sei „keine Sau und auch kein Schwein“, hakt Laschet wenige Tage später in der „ZEIT“ nach und lässt einfach nicht locker: „Wenn wir die Debatten, die jetzt anstehen, tribunalisieren, wird die Gesellschaft daran zerbrechen“, schreibt er stirnrunzelnd. 2020 müsse das Jahr einer „Renaissance unserer Debattenkultur“ werden. Dabei kämen den Medien eine besondere Verantwortung zu. „In diesen Zeiten brauchen wir dringend einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der dem Zusammenhalt dient, wie es seinem Auftrag entspricht.“

Diesen dreisten Seitenhieb will der Intendant des WDR Tom Buhrow natürlich nicht auf sich sitzen lassen und meldet sich telefonisch in einer kurz zuvor anberaumten Sondersendung von WDR 2 Hörfunk, in der sich dessen Chef Jochen Rausch stellvertretend für die Redaktion den Hörerinnen und Hörern zum Thema Omaumweltsau zu stellen versucht, weil ihm der Druck durch die Social Media offensichtlich keinen anderen Ausweg mehr lässt, als sich den Bürgern zu stellen und sich mit ihnen blind ins Getümmel eines angeblich notwenigen Meinungsaustauschs zu werfen.

Wie aber sollte Rauschs Versuch gelingen, wenn es offenbar nur dessen blanke Angst vor dem unberechenbaren Bürger war, die ihn zur Idee dieser bizarren Sendung verleitet hatte, wohl auch mit dem heimlichen Hintergedanken, mit dieser Sonderaktion Dampf aus der Sache nehmen zu können. Stattdessen aber gelingt, wie ebenso absehbar, das glatte Gegenteil: Die Bürger reden sich an den Dingen heiß, und werfen sie sich gegenseitig wutentbrannt an den Kopf. Rausch zieht den Kopf ein.

Den Vogel aber schießt Tom Buhrow ab, der sich in der scheinbar hochbrisanten Sondersendung wie aus heiterem Himmel aus dem Krankenhaus meldet, wo er offenbar gerade seinen 92-jährigen Vater besucht. Ohne Umschweife bittet dieser alle Hörerinnen und Hörer um Verzeihung und lässt diese zugleich wissen, sie könnten beruhigt sein, er habe den Clip auf Facebook bereits sperren lassen. Die Omaumweltsau sei vom WDR schlichtweg ein schwerer Fehler gewesen. Ein Missgriff!

Unerträglich aber sei für ihn der Verdacht, man habe Kinder schlichtweg „instrumentalisiert“. Das habe für ihn den Ausschlag gegeben, die Oma umgehend aus dem Netz zu nehmen. Darüber hinaus sei sein Vater gewiss keine Umweltsau, fügt Buhrow noch völlig zusammenhangslos hinzu, denkt aber leider nicht daran, aus dieser Tatsache noch persönlich Kapital zu schlagen. Die unfreiwillige und im Gegensatz zur wahre WDR-Satire wäre wirklich perfekt gewesen, hätte Buhrow den naheliegenden Gedanken nur fortzuspinnen gewusst: Und da mein Vater keine Umweltsau ist, bin ich es auch nicht, werte Hörerinnen und Hörer, hätte er noch sagen sollen. Wir müssen alle etwas gegen den Klimawandel tun, werte Hörerinnen und Hörer. Aber bitte nicht auf dem Motorrad!

Dass Buhrow aber offenkundig nicht für alle Mitarbeiter seines Senders spricht, erweist sich bald als schwerer Fehler. Denn Dutzende seiner Autoren und Redakteure sehen sich durch dessen kopflose Entscheidung mehr als brüskiert, die Satire- und Rundfunkfreiheit folglich gravierend gefährdet und fordern diesen deshalb zum Rücktritt auf. Zur gleichen Zeit aber wird ein freier Mitarbeiter ganz von sich aus aktiv und zündet mit folgendem Tweet eine weitere Bombe: Man muss „mal über die Großeltern reden, von denen, die jetzt sich über #Umweltsau aufregen. Eure Oma war keine #Umweltsau. Stimmt. Sondern eine #Nazisau.“

Dieser Tweet bleibt natürlich nicht ohne Folgen und versetzt die Bürger erst recht in Rage, indem sie dem WDR jetzt die Pest an den Hals wünschen und dessen Mitarbeitern unumwunden mit Mord drohen. Dieser mittlerweile schon beinahe völlig normal gewordene Wutausbruch ruft selbstredend den Deutschen Journalisten-Verband auf den Plan, der den WDR ultimativ dazu auffordert, unverzüglich die Sicherheitsbehörden zu alarmieren, damit diese das Leben der WDR-Mitarbeiter schützen, was der Sender natürlich auch schon allein aus existentiellen Gründen umgehend zusichert. Buhrow selbst hingegen scheint bei all dem Wahnsinn auf einmal einen lichten Moment zu haben und fragt sich in aller Öffentlichkeit: „Was ist mit unserem Land los, dass ein missglücktes Video zu Morddrohungen führt?“

Gute Frage. Aber leider hat bislang noch keiner in der Republik eine Antwort auf diese gefunden.