GOOD NIGHT

11. Juni 2018

Bestimmte Dinge weiß man einfach durch persönliche Anschauung, schließlich hat man Augen im Kopf und kann hinsehen. Das aber tun nicht mehr viele, wie man beobachten kann. Der SMARTPHONEBLICK hindere die Leute daran und mache sie blind für die Welt, ist in den Medien allenthalben zu lesen, was von den Leuten mit fahrigem BLICK aufs SMARTPHONE zur Kenntnis genommen wird, woraufhin sie reflexartig zur nächsten INFO weiterscrollen, während der Apple CEO Tim Cook sich über die Internetsucht auslässt und vorgibt, das Web auf iPhone wieder „zu einem tollen Ort“ machen zu wollen.

Wie eine Endlosschleife dreht sich die pausenlos mit News gefütterte Welt der INFOS gleichsam an den Leuten vorbei, wobei die nur darauf zu warten scheinen, sich spontan in jene INFOS einzuklicken, die ihren Vorurteilen Vorschub zu leisten versprechen, um diese dann – hysterisch aufgeladen – augenblicklich mit Ihresgleichen massenhaft zu teilen. So setzen sich heutzutage gesellschaftliche Kollektive nicht mehr aus Menschen mit gemeinsamen Interessen oder gar politisch-gesellschaftlichen Ambitionen zusammen, sondern aus realitätsblinden Gesellschafts- und Staatsverächtern, die sich über identische Vorurteile und Verschwörungstheorien im Internet finden und sektiererisch formieren.

Ansonsten aber hinterlässt der unablässige digitale INFOKONSUM im Hirn der Leute, das zum zerebralen Papierkorb verkommen ist, nur mehr ein dumpfes Hintergrundrauschen, in welchem deren kognitiv versteinertes Weltbild unangefochten stabil bleibt und durch den allseitigen medialen Widerhall Gleichgesinnter an Stärke und Brutalität noch gewinnt und sich ins Unermessliche steigert. Das aber scheinen viele selbst in den Medien noch immer nicht begriffen zu haben, und schwadronieren dilettantisch um den heißen Brei herum als brisante Politthemen.

Am Beispiel von TALKSHOWS wird dies besonders anschaulich, in denen – ganz offensichtlich wider besseres Wissen ihrer Initiatoren – die von beflissenen Redakteuren dingfest gemachten Vorurteile der Leute unter dem Deckmantel vorgeblicher Brisanz und von den immergleichen Volksvertretern und Softexperten unter Einsatz all’ ihres eitlen politischen Know-hows hin und her gewälzt werden, bis die Maske fällt. Insofern sind diese POLITSHOWS nichts anderes als mediale Vorurteilszentrifugen, in denen jeder noch so wichtige oder tatsächlich brisante Gegenstand binnen Kürze im Statementgeschwafel von sattsam bekannten Links- oder Rechtsprotagonisten auf sein reaktionäres Klischee hin eingedampft wird, und nichts anderes zurückbleibt als gestanzte Parolen, die den Defätismus salonfähig machen, schließlich will man ja Wähler gewinnen, egal von welcher Seite.

Wähler aber gibt es keine mehr. Sondern letztlich nur Leute, die ihre Vorurteile als politische Haltung vor sich hertragen wie eine Waffe und nur den wählen, der sie am Besten an sie zu verkaufen weiß – und das ist ausnahmsweise bei den Volksvertretern angekommen: Der Wähler sei mittlerweile volatil, sagen sie, und das heißt im Klartext unberechenbar. Dass das latent zynische Konzept aufgeht, belegen die Einschaltquoten. Würden die Talkshowakteure aber wirklich verstehen, was sie da anrichten, würden sie erschrocken aufhören, von der Digitalisierung nur im mechanisch-quantitativen Sinne daherzureden und deren mental-inhaltliche Konsequenzen in den Focus nehmen. In diesem Zusammenhang wirkt es wie eine Zote, dass der deutsche Kulturrat jüngst dafür plädierte, die TALKSHOWS abzuschaffen – MACHT ENDLICH DIE GRENZEN DICHT!

Und jetzt zählen die Leute, die über die Realität hinwegscrollen wie besinnungslos Getriebene, zwanghaft Insekten im Land, weil es immer weniger zu geben scheint, wie man ihnen sagt und sie von hoher wissenschaftlicher Warte dazu auffordert mit Strichlisten alles Getier auf ihren Geranien zu registrieren. Achtung, die Natur schlägt zurück! warnen die INFOS, ohne Bienen sind wir verloren. – In China bestäuben die Leute ihre Pflanzen selbst, halten andere INFOS dagegen. Also, geht doch! sagen sich die Leute, scrollen zur nächsten Katastrophe und verspritzen weiterhin ihre Unkrautgifte in ihren spießigen Gärten, damit ja kein Grashalm aus den Ritzen dringt. Wobei sie sich natürlich vorher von Kopf bis Fuß mit ANTIMÜCKENMITTELN einsprayen, sich ihre Gartengummihandschuhe überziehen, die ihnen bis unter die mit aluminiumfreien DEO imprägnierten Achseln reichen, und endlich zur Tat schreiten.

Aber trotz all’ der Insekten und Umweltproblemen denken die Leute erst mal an sich selbst. Wer will es ihnen verdenken, wo das Leben doch ohnehin schon schwer genug ist: Die EINSAMKEIT nimmt zu, titelt eine höchst aktuelle INFO, bei der sie beim Scrollen natürlich hängen bleiben und unwillkürlich ihren Status checken. Zwar sprechen sie nicht mehr miteinander und wissen nicht, wer der Nachbar ist, sind aber dennoch seltsam angefasst, dass es so viele Einsame geben soll. Aber was soll’s! Solange sie ihre ALEXAS und SIRIS haben, kann ihnen so etwas nicht passieren, denken sie insgeheim. Was aber manche Leute gegen digitale Assistenten einzuwenden haben, lässt sie kalt – das ganze Geschwätz um die KI nervt total. Ach richtig, die Arbeitsplätze! Aber wer will schon an Morgen denken. Morgen ist erst mal Fitness angesagt. Und die neue Hirschhausendiät kann man übrigens vergessen!

Außerdem müssen die Leute jetzt auch unbedingt eine neue Küche haben. Autos sind out, Küchen in, sagen die INFOS. Stundenlang hocken die Überfetteten vor den täglichen KOCHSHOWS, stopfen sich dabei mit FAST FOOD voll, kochen längst nicht mehr und finden Tim Mälzer klasse. Der schlägt selbst Uschi Glas mit ihren raffinierten Rezepten. Pommes machen Haarausfall, warnt FOCUS ONLINE, während der dritte BURGER dran glauben muss.

Aber beim Grillen – den allabendlichen Konkurrenzkämpfen zwischen Kleingärten oder Balkonen – geht’s richtig rund. Natürlich kaufen die Leute dafür nur Schnäppchenfleisch, fördern damit die Fleischindustrie, deren Massentierhaltung den Grillfetischisten allerdings am Arsch vorbeigeht, wiewohl die Gülleschwemme, die diese Industrie tonnenweise produziert, durch die Böden ins Grundwasser sickert, und als nitratbelastetes Wasser wieder in die Häuser der Leute zurückkommt, wie INFOS die wie vor den Kopf Geschlagenen wissen lassen. Den Leuten wird’s Angst und Bange. Warum gibt’s darüber eigentlich noch keine Talkshow? fragen sie sich beleidigt und wollen doch nur eine Meinung hören, grillen aber weiter.

Du musst dein Leben ändern! zitiert eine INFO Rilke. Wer ist das noch mal? denken die Leute. Verdammt, der Mann hat gut reden, sagen sie sich und scrollen weiter. Der Konsum ist das letzte, was ihnen geblieben ist. Er ist das einzige, was die Gesellschaft noch zusammenhält. Außerdem haben sie in England gerade ein Ministerium gegen EINSAMKEIT geschaffen, was, wie die INFOS sagen, jetzt auch Deutschland plant.

Mehr Bildung fordern Experten. Haben die eigentlich noch nie vom Versuch am untauglichen Objekt gehört?