KOPF DRAUF!

12. Dezember 2017

Kopf ab! hieß es noch jüngst in den vom IS besetzten Gebieten des Mittleren Ostens. Jetzt aber heißt es auf einmal Kopf drauf!, was mit dem Schlachtruf der psychotischen Mörderbande natürlich nicht das Geringste zu tun hat. Um es kurz zu machen: In den nächsten Wochen plant der italienische Neurochirurg Sergio Canavero die erste Kopf-Transplantation am lebenden Menschen. Wobei solch ein Eingriff aber auch erst einmal Kopf ab! bedeutet, wenn man ehrlich ist.

Aber keine Angst! Canavero hat Großes vor mit den Menschen und will deren uralten Traum vom ewigen Leben endlich Wirklichkeit werden lassen. Die Botschaft lässt aufhorchen und wird diejenigen, die höllische Angst vor dem Tod haben und alles dafür gäben, nicht das Zeitliche segnen zu müssen, sicher im Herzen erleichtern. „Viel zu lange hat die Natur uns ihre Regeln diktiert“, erklärt der mitfühlende Heilsbringer. „Wir werden geboren, wir wachsen, wir altern und wir sterben. Diesen fatalen Kreislauf gilt es zu durchbrechen. Der Mensch muss sein Schicksal wieder in seine eigene Hand nehmen.“

Was Canavero mit „wieder“ meint, bleibt nebulös. Sein Ziel hingegen ist glasklar und neurotechnologisch bis ins Detail durchkomponiert. Die vorbereitenden Experimente sind schon weit fortgeschritten. Vor wenigen Wochen ist es ihm und seinem Team bereits gelungen, eine Kopf-Transplantation an einer Leiche durchzuführen. Die 18stündige Operation erfolgte an der Harbin Medical University in China, womit Canavero nach eigenem Bekunden bewiesen hat, einen menschlichen Kopf mit Nerven, Wirbelsäule und Blutbahnen eines anderen Körpers verbinden zu können. Im definitiven Fall (also jetzt im Dezember) soll das Rückenmark mit einem glatten Schnitt durchtrennt und der Nervenstrang des Kopfes mithilfe von Polyehtylenglykol (PEG) - eine Art Kleber für Nervenfasern - mit dem des Spenderkörpers verbunden werden. „Die beiden Enden des Rückenmarks ähnelten zwei dicht gepackten Bündeln Spaghetti, die mithilfe von PEG dazu angeregt werden sollen, sich zu verbinden, ähnlich wie heißes Wasser trockene Spaghetti zusammenkleben lässt“, schreibt die ÄrzteZeitung dazu.

Der Coup soll einem Patienten mit chronischer Muskeldystrophie oder Querschnittslähmung zugute kommen, ihn von seinem moribunden, dem sicheren Tod geweihten Körper befreien, um ihm (und seinem gesunden Kopf) ein neues Leben zu schenken. Der 30 Jahre alte russische Programmierer Waleri Spiridonow, dem der Eingriff eigentlich gelten sollte, hat aus unerfindlichen Gründen abgesagt. Er sitzt im Rollstuhl und leidet an schweren körperlichen Verformungen. "Ich weiß, dass ich sterben kann. Aber ich mache keinen Rückzieher mehr", sagte Spiridonow noch vor wenigen Wochen. „Ich brauche einen neuen Körper. Niemand kann sich vorstellen, wie es ist, mit diesem zu leben. Ich habe nicht mehr viel Zeit und will der Erste sein. Du fühlst dich wie der Held eines Science-Fiction-Romans, fast so, als würdest du in den Kosmos fliegen.“

Spiridonow leidet seit seiner Kindheit unter der Krankheit Morbus Werdnig-Hoffmann, eine Krankheit, die den irreversiblen Schwund von Muskeln, Gewebe und Organen bewirkt. Warum er jetzt aber so überraschend abgesprungen ist, verrät Spiridonow nicht. Offenbar will er nun doch nicht mehr durch den Kosmos fliegen. Aber damit hat Canavero kein Problem, eine „hohe Zahl“ an Freiwilligen  habe sich bereits gemeldet, die allesamt aus China stammen, lässt er die Welt wissen. Und in China soll der spektakuläre Eingriff auch stattfinden, wo Canavero sich mit Ren Xiaoping zusammengetan hat, einem chinesischen Superspezialisten für Kopf-Transplantationen, der diese bislang zwar nur an Tieren, aber immerhin an mehr als 1.000 Mäusen und einem Affen durchgeführt hat, wobei er den Affenkopf zwar problemlos mit dem Blutkreislauf eines Primatenkörpers zu verbinden wusste, am Rückenmark jedoch scheiterte. Der Affe blieb gelähmt und musste aus ethischen Gründen eingeschläfert werden. Jetzt aber stehtCanavero mit all seiner Erfahrung an Leichen Xiaoping zur Seite - ein visionäres Kopf-Transplantations-Dream-Team, das dem Tod den Kampf angesagt hat. Der ultimative Eingriff soll 10 Millionen Dollar kosten, etwa 36 Stunden dauern, und 150 Ärzte und Schwestern erfordern.

Soweit es sich überblicken lässt, hat Canavero alles im Griff. So wird er einen Kopf natürlich nicht immer wieder transplantieren, schließlich altert auch dieser wie der Körper, auf dem er steckt. Aber Canavero weiß zu beruhigen: „Bei der heterochronen Parabiose (= das Zusammenfügen der Gewebe zweier Organismen mit unterschiedlichem Alter) tritt ein interessantes Phänomen auf“, erklärt er. „Wenn älteres Gewebe jüngerem ausgesetzt wird, verjüngt es sich. Aus Tierversuchen wissen wir, dass wenn wir einen alten Kopf auf einen jungen Körper pflanzen, das Gehirn verjüngt wird. Wenn man den Kopf eines 80-Jährigen auf den Körper eines 20-Jährigen verpflanzt, wird die Verjüngung nicht so stark sein, dass das Gehirn biologisch wieder 20 ist. Das Ergebnis wird irgendwo in der Mitte liegen. Das reicht aber vollkommen aus. Außerdem wollen wir im Projekt HEAVEN (was leider nicht „Himmel“, sondern nur „head anastomosis venture“ bedeutet), das Gesicht eines jungen Spenders verwenden und so dem Kopf ein jüngeres Aussehen verleihen.“ Darüber hinaus wäre es ästhetisch ohnehin am besten die Haut des Kopfes unter den Schlüsselbeinen zu durchtrennen und somit hässlichen Halsnarben vorzubeugen.

Dem Kopf schwindelt - schon sieht er sich abgetrennt zwischen den Körpern schweben, mit unzähligen zu Boden hängenden Schläuchen, die ihm aus dem Halsansatz hervorquellen und künstlich am Leben erhalten, den ehemaligen Körper im Nacken und den anderen, ihm völlig fremden unmittelbar vor sich, aufrecht in einer Art Zahnarztstuhl festgezurrt und kopflos auf ihn wartend. Welcher Kopf weiß da schon, was auf ihn zukommt, wenn er auf diesen Torso platziert wird? Schließlich ist der Körper die Landschaft der Gefühle, wie der Hirnforscher António Damasio erklärt, das Gehirn hingegen absolut gefühllos und auf den Körper angewiesen, wenn es Gefühle haben will.

Folglich ist es überaus riskant, einen nichtsahnenden, seiner Gefühle beraubten Kopf auf einen ihm völlig unbekannten Körper zu pflanzen, der ihn augenblicklich mit seinen wildfremden Gefühlen überschwemmt, die dem Kopf schwallartig zu Kopfe steigen, ohne dass er - der Hilf- und Gefühllose – auch nur die geringste Chance hätte, sich dieser die Sinne raubenden Attacke erwehren zu können, hin- und hergerissen zwischen eigenen Gedanken und fremden Gefühlen - ein Zustand, der rasch zum Wahnsinn führen kann.

Canavero aber relativiert: „Die Neuroplastizität erlaubt dem Gehirn, sich an mechanische Arme zu gewöhnen. Das Gehirn akzeptiert eine Prothese als Teil des Körpers und kann sie ohne Probleme steuern, ohne dass der Träger wahnsinnig wird. Es gab einen Fall, bei dem es nach einer Handtransplantation zur psychischen Abstoßung gekommen ist. (Clint Hallam, dem ersten Mann, der eine neue Hand erhielt, musste diese gut zwei Jahre darauf wieder abgenommen werden, weil er die Gliedmaße eines Verstorbenen nie als seine eigene akzeptierte.) Seither wissen wir, dass psychologische Langzeitbetreuung wichtig ist, um die Integration ins Körperbild des Patienten zu unterstützen. Wir werden unsere Patienten schon lange vor der Operation mit VR-Brillen an einen neuen Körper gewöhnen. Auch Hypnose werden wir einsetzen.“ Dennoch gäbe es letztlich keine hundertprozentige Sicherheit, nach einer Kopf-Transplantation nicht doch an einer Psychose zu erkranken, räumt Canavero überraschend ehrlich ein. Aber er sei da zuversichtlich.

Doch Vorsicht: Mit dem nicht hundertprozentig auszuschließenden Fall, dass ein Kopf nach gelungener Transplantation das Gefühl nicht loswird, auf dem Körper eines Verstorbenen zu sitzen, wird Canavero bei seinen Schützlingen nur unnötige Nervosität provozieren. Vielleicht ist das ja der Grund, warum Spiridonow ihm absagte?

Dabei gäbe es eine denkbar einfache Lösung, um eine Psychose oder gar seelische Abstoßungsreaktion (Kopf wehrt sich gegen Körper oder Körper gegen Kopf) zu verhindern: Diese widerspräche zwar dem gängigen Transplantationsgesetz, demzufolge der Empfänger die Identität des Spenders nicht kennen darf, wobei die Frage, ob es sich bei einer Kopf-Transplantation denn wirklich um eine Transplantation im herkömmlichen Sinne handelt, allerdings erlaubt sein muss, schließlich ist der Empfänger nachgerade gezwungen, seinen Spendenkörper nach gelungenem Eingriff kennenzulernen, ob er das nun will oder nicht! Folglich wäre es höchst ratsam, Kopf und Körper vor dem für beide so entscheidenden Eingriff schon einmal zusammenzuführen und abzuwarten, ob beide nun miteinander können, oder nicht - neue Methoden erfordern eben auch neue Gesetze. Canavero wird sich doch hoffentlich keinem Shitstorm aussetzen wollen, wenn ihm der Eingriff zwar gelungen, der Patient aber in die Klapse abgewandert wäre.

Die Bedeutung eines solchen Treffens sollte Canavero unter keinen Umständen auf die leichte Schulter nehmen, schließlich hängt zu viel von diesem ab. In jedem Fall sollte er dafür Sorge tragen, dass das Rendezvous zwanglos vonstatten geht - ein entspanntes tête-à-tête zu arrangieren, wird doch auch für einen Kopftransplanteur nicht allzu kompliziert sein! Canavero selbst sollte sich da um Gottes willen persönlich erst einmal heraushalten, schließlich ist er als Initiator der ganzen Sache viel zu befangen. Er könnte sich noch um Kopf und Kragen reden, wenn er beispielsweise versuchte, einen Kopf dazu überreden zu wollen, es doch mit dem Körper zu versuchen, obwohl der erklärtermaßen nicht will. Erst recht sollten keine Psychologen vor Ort sein. Der falsche Druck, den solche Herrschaften auf die Gefühlslage ihrer Probanden ausüben, würde den Körper nur verwirren und im Kopf Unheil stiften, so viel ist sicher.

Vielleicht wäre es am Schlauesten Kopf und Körper sich wie zufällig treffen zu lassen - wohlwollend in deren Rücken eingefädelt. Denn dann würde sich ohne Umschweife und großen Aufwand rasch herausstellen, ob sich beide nun riechen können oder auf Anhieb höchst unsympathisch finden und Abstand halten. Canavero sollte dem Instinkt seiner Köpfe und Körper vertrauen, sonst wird aus der von ihm geplanten Vereinigung nichts. Im Leben lässt sich nichts erzwingen – mein Gott. Das muss der Mann doch wissen!

Erst im Falle eines eindeutig positiven Ergebnisses sollte Canavero die Szene betreten. Dann aber nicht als genialer Chirurg, sondern tapfer in der Rolle des profunden Menschenkenners, der die Fäden zusammenzuhalten weiß. So könnte er in letzter Sekunde beispielsweise noch herausfinden, dass der Kopf trotz all’ seiner überschwänglichen Sympathiebekundungen in Wahrheit nur deshalb auf den Körper scharf ist, weil der ein Sixpack hat. Der Ahnungslose würde sich später zu recht missbraucht fühlen und eine Hyperakute seelische Abstoßungsreaktion gegen seinen verlogenen Kopf vom Zaun brechen - im Gegensatz zu diesem hat der Körper ja immerhin Gefühle.

Vielleicht aber wäre es am allerbesten wenn Canavero zunächst auf Sicht fahren und den Kopf mit einem intelligenten Maschinenkörper verbinden würde? Dank dessen algorithmischer Intelligenz käme es so zu einem  permanenten Abgleich der Gedanken und Gefühle, weil die Körpermaschine dem Kopf nur solche Gefühle präsentieren würde, die wirklich zu ihm und seinen noch so absonderlichen Gedanken passen.

Canavero aber wehrt ab, offenbar hält er nichts von derartigen Überlegungen: „Derzeit arbeiten mindestens zwei Firmen in den USA daran, einen Kopf oder ein Gehirn in oder auf einen kybernetischen Körper zu verpflanzen, um das Gehirn mit Nährstoffen zu versorgen. Aber das ist nicht der Weg in die Zukunft, weil die Verjüngung des Gehirns fehlt", hält er dagegen. „Das kann nur funktionieren, wenn auch das Blut jüngerer Personen einen Verjüngungseffekt erzielen könnte. Das wissen wir derzeit aber nicht. Das langfristige Ziel ist es, die Lebensspanne des Menschen zu verlängern. Dazu braucht es allerdings auch Fortschritte im Bereich der Klontechnologie. Dann können wir Unsterblichkeit erreichen, indem wir Köpfe auf geklonte Körper verpflanzen.“

Ein geklonter Körper – vielleicht wäre ein solcher die Lösung für das vertrackte Problem? Dann träfe der Kopf nach geglücktem Eingriff wieder auf seinen ursprünglichen, jetzt aber geklonten und darüber hinaus völlig verjüngten Körper, eingebettet in eine ihm völlig vertraute Gefühlslandschaft, die ihm wieder seine Seele gäbe. Der Kopf würde sich fühlen wie früher und so, als sei gar nichts gewesen - kein Wunder, dass Canavero von dieser Idee begeistert ist.

Was ist eigentlich aus dem Klonen geworden? Seit DOLLY ist es still geworden um die einst so heiß diskutierte Methode? „Das Schaf Dolly (* 5. Juli 1996 in Roslin (Midlothian); † 14. Februar 2003) war ein walisisches Bergschaf und das erste aus einer ausdifferenzierten somatischen Zelle geklonte Säugetier“, erinnert uns Wikipedia, nennt aber leider nicht die Ruhestätte des tapferen Klonschafs, an der friedfertig zu demonstrieren es höchste Zeit wäre, um Industrie und Forschung gehörig den Marsch zu blasen, sich endlich ums Klonen von Menschenkörpern zu kümmern und Canavero und Xiaoping zur Seite zu stehen, schließlich geht es jetzt nicht mehr ums Tier, sondern um uns und unser verdammtes Leben!

Bis dahin aber heißt es sich gedulden und die Zähne zusammenbeißen – es sei denn, es kommen doch noch frohe Botschaften aus China, sollte Canavero die Ratschläge befolgen.