KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

DAS ENDE? Teil 5
8. März 2018

In der Geschichte von Mensch und Maschine ist das INTERNET praktisch die letzte Etappe vor der Künstlichen Intelligenz. Was danach kommen wird – der Mensch als Maschine oder die Maschine als Mensch? – weiß niemand zu sagen, die Gegenwart ist ohnehin schon verwirrend genug: Die Ereignisse überschlagen sich und die Welt steht Kopf – mehr und mehr scheinen sich die Dinge der menschlichen Kontrolle zu entziehen.

Die Internetmaschine ist hierfür ein eklatantes Beispiel, hat sich diese Maschine doch entgegen der ursprünglichen Intention ihrer Auguren, die sich von ihr uneingeschränkte Kommunikation und grenzenlose Freiheit erhofften, in eine ganz andere, völlig unvorhergesehene Richtung entwickelte:

„Regierungen der industriellen Welt, ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes“, verkündete der gerade verstorbene Internetpionier John Perry Barlow noch 1996 euphorisch in seiner ‚Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace’ vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos. „Im Namen der Zukunft bitte ich euch Vertreter einer vergangenen Zeit – lasst uns in Ruhe! Ihr seid bei uns nicht willkommen. Ihr habt keine Macht mehr, wo wir uns versammeln.“

Doch es kam anders, als Barlow und andere es sich erträumten: Denn binnen nur zweier Dekaden ist aus dem erhofften Freiheitsinstrument eine den öffentlichen Raum durcheinanderwirbelnde CHAOSMASCHINE geworden, auf deren Plattformen sich Milliarden User wie auf einem Schlachtfeld tummeln und sich mit einer permanenten Schwemme von vulgärer Denke, impertinenter Häme, dummdreisten Meinungsschüben oder reaktionären Hassattacken gegenseitig fertig zu machen versuchen oder andere zu Tode zu texten, wenn sie wegen einem brandneuen SMOOTHIE-REZEPT in Ekstase geraten, oder ihren ONE-NIGHT-STAND-LOVER mit einem SMILEY hochjubeln und ihn zum ultimativen Orgasmus auffordern. Natürlich mischt bei solchem Irrsinn auch die KONSUMINDUSTRIE kräftig mit, bombardiert den User mit Myriaden von gestanzten Bildern und INFLUENZER-CLIPS und verdient sich eine goldene Nase dank BIG DATA, die natürlich auch für jeden Geheimdienst oder Staat ein gefundenes Fressen sind, um den User zu durchleuchten und auszuspionieren oder sich gegenseitig im CYBERWAR zu attackieren.

Die destruktiven Wirkungsmechanismen der Internetmaschine auf Mensch und Gesellschaft kommen gegenwärtig mit voller Wucht und in all’ ihrer Brisanz drastisch zum Vorschein. Hatte die Dampfmaschine vor rund 250 Jahren die Gesellschaft noch mit physischer Gewalt radikal in den Griff genommen und mit dem Proletariat eine neue, von ihr existentiell völlig abhängige gesellschaftliche Klasse hervorgebracht, operiert die Internetmaschine gleichsam mit psychischer Gewalt, infiltriert das Gehirn des Menschen und macht ihn sukzessive von sich abhängig: Denken und Fühlen verflachen, das Verhalten verroht: Ein endemischer Prozess, der den Menschen schleichend von Innen heraus schwächt, ihn mehr und mehr vereinzeln und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zusehends zerbröckeln lässt.

Vor diesem Hintergrund scheint die Künstliche Intelligenz genau zum rechten Zeitpunkt gekommen, dient ein Großteil ihrer Maschinerie doch allein dem Zweck, die immer offenkundigeren Defizite der menschlichen Mentalität zu kompensieren, dem zunehmend Ratlosen rund um die Uhr mit TIPPS und LINKS zur Seite zu stehen, dabei permanent seine Vitalfunktionen zu überwachen, um ihn vorm Gröbsten zu bewahren und ihm im Leben wie auf der Straße immer den rechten Weg zu weisen.

SMART LIFE – in solch einem Leben offenbart sich der Doppelcharakter der Maschine, der für den Menschen fatale Folgen zu haben scheint, hat sie ihm zwar einerseits zu enormer wirtschaftlicher und technologischer Potenz verholfen, doch ihm andererseits – gleichsam unter der Hand – auch die mentale Power genommen. Dem äußeren Reichtum scheint die innere Verarmung zu entsprechen.

Mit einem Mal aber werden warnende Stimmen laut. Und dies auch von einer Seite, von der man es am allerwenigsten erwartet hatte. „Facebook ändert buchstäblich euren Umgang mit der Gesellschaft und untereinander“, warnte Sean Parker, Ex-Präsident des Konzerns, an dem er selbst Milliarden verdiente, die User im November letzten Jahres bei einer Veranstaltung in Philadelphia. Dafür sei er auch selbst mitverantwortlich, räumt er ein: Gemeinsam mit seinem damaligen Mitstreiter Mark Zuckerberg hätten sie anfangs alles daran gesetzt, den User mit möglichst viel Zeit an Facebook zu binden und mithilfe von LIKES und SHARES seine ganze Aufmerksamkeit zu erheischen. Interaktionsmöglichkeiten dieserart verleiteten den User dazu, auch seinerseits mehr POSTS zu produzieren, so Parker. Zudem bekäme der User spontan Glücksgefühle, wenn auch andere auf seine POSTS reagierten – ein neurophysiologischer Effekt der DOPAMIN-KICKS des Belohnungssystems, wie er erklärt, das dem User solche Glücksmomente verschaffen würde. Zuckerberg und er hätten nassforsch „eine Schwäche in der menschlichen Psyche ausgenützt“. Die negativen Konsequenzen wären ihnen zwar durchaus bewusst gewesen, aber sie hätten es trotzdem getan. Dann wendete sich Parker direkt an die Kinder: „Facebook stört wahrscheinlich auf komische Weise eure Produktivität“, beichtete er ihnen. „Gott allein weiß, was es mit euren Gehirnen macht.“

Auch Justin Rosenstein, der Miterfinder des FACEBOOK-LIKE-BUTTONS, der das Unternehmen längst verlassen hat, ist von den hirnlosen Usern mittlerweile mehr als entsetzt, die sich im Internet aufführten wie Digitalzombies, die ihr reales Umfeld nicht mehr wahrnehmen würden. „Wir werden die letzte Generation sein, die sich erinnern kann, wie das Leben vor den sozialen Netzwerken war, so Rosenstein, der heute fest davon überzeugt ist, dass soziale Netzwerke und entsprechende APPS genauso süchtig machten wie „Heroin“. OUR MINDS CAN BE HIJACKED, schreibt er – unser Bewusstsein kann fremd gesteuert werden.

„Die SOCIAL MEDIA zerfressen die Kernfundamente des menschlichen Verhaltens“, wettert Chamath Palihapitiya, der ebenfalls in führender Position bei Facebook arbeitete. „Ich habe die Macht über meine eigenen Entscheidungen und ich entscheide, dass ich diesen Scheiß nicht nutze. Und ich habe auch die Macht über die Entscheidungen meiner Kinder und ich entscheide, dass ich ihnen nicht erlaube, diesen Scheiß zu nutzen.“

Die Aufregung ist groß. Denkt an unsere Kinder! forderten gerade zwei der größten Investoren von APPLE. (Jana Partners und das California State Teachers’ Retirement System) den Megakonzern in einem offenen Brief auf. Er solle unverzüglich etwas gegen die zunehmende Internetabhängigkeit der Kinder und Jugendlichen unternehmen – die Langzeitfolgen seien unabsehbar. Kein Unternehmen dürfe sich dieser Verantwortung entziehen.

WAS TUN? – Offenbar haben selbst die IT-Experten keinen blassen Dunst von den Wirkungsmechanismen ihrer Maschine, an der sie mit ihren FEEDBACK-ALGORITHMEN herumhantierten ohne wirklich zu wissen, was diese bei Mensch und Gesellschaft wirklich bewirkt. Sie schwafeln davon, „eine Schwäche in der menschlichen Psyche ausgenützt“ zu haben, kommen dann aber auch schon aufs Hirn zu sprechen und schwadronieren von dessen mesolimbischen Belohnungssystem, das sie mit seinen DOPAMIN-KICKS für die Netzabhängigkeit verantwortlich machen wollen. SO WHAT? Mittlerweile redet jeder von den DOPAMIN-KICKS, wenn es sich um ein bisschen Glück handelt, das sich der Mensch mal gönnen will. Das Belohnungssystem hat bei jeder Sucht seine Hände mit ihm Spiel. Süchte aber gibt es viele. Also kommt es auf das AGENS, die spezifische Droge der Sucht an. Das Netz mache abhängig, davon sind alle überzeugt. Aber warum, das ist die Frage? Was also ist das „Heroin“, das den Menschen vom Cyberspace abhängig macht?

Auf diese Frage aber scheint bis heute keine adäquate Antwort gefunden. Obwohl sich die Befunde mehren, die belegen, dass die Internetmaschine für Mensch und Gesellschaft drastische Folgen haben wird: „Es sei egal, was genau Jugendliche mit ihren Smartphones, Tablets oder Laptops täten, statistisch gesehen mache sie jede weitere Viertelstunde vor dem Bildschirm zu unglücklicheren Menschen“, schreibt Jean M. Twenge, die an der University of San Diego das Verhalten amerikanischer Jugendlicher erforscht, in ihrem neuen Buch iGEN (1): „Jede Bildschirmaktivität korreliert mit einem geringeren Glücksempfinden, jede Aktivität ohne Bildschirm mit einem gesteigerten. Es gibt keine einzige Ausnahme.“

Junge Amerikaner gehen heute viel seltener aus dem Haus als noch Mitte der Nullerjahre, so Menge. Sie verbringen deutlich weniger Zeit mit ihren Freunden und haben weniger Dates und weniger Sex. Sie fangen später mit dem Geldverdienen an, machen seltener den Führerschein und wohnen länger bei ihren Eltern. Sie schlafen schlechter und weniger, nehmen mehr Antidepressiva und begehen häufiger Selbstmord. Amerika stecke in der schlimmsten „mental health crisis“ seit Jahrzehnten. Seit 2012 hätten sich Jugendliche auf eine Art und Weise verändert, wie es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht vorgekommen sei, so die Autorin. Die Jugendlichen seien nicht auf das Leben in der Realität vorbereitet. „Man fragt sich, wer davon profitiert, wenn Kinder und Jugendliche lebensunfähig und hypnotisiert in einer virtuellen Realität vegetieren.“

Twenges Untersuchungsergebnisse widersprechen den Ansichten der ehemaligen Facebook-Adepten vehement. Denn offenbar erweckt die Internetabhängigkeit keine Glücksgefühle, währen die von ihnen postulierten DOPAMIN-KICKS doch nur Augenblicke und machen jede Sucht, die immer auf Dauer aus ist, bald zur Hölle. Und dennoch: auch Twenges Befunde führen keinen Schritt weiter, wenn man der Droge der Internetabhängigkeit auf die Spur kommen will. Ihre These aber, die süchtigen Jugendlichen seien wie hypnotisiert in die virtuelle Realität abgedriftet, weist in die richtige Richtung. Denn offenbar bringt die Internetabhängigkeit eine Art Realitätsverschiebung mit sich – so, als befände sich der User vor seiner Maschine in einer Art Trance und in einer ganz anderen Welt.

Offenbar sind es kognitive Prozesse, die der Internetabhängigkeit zugrunde liegen und den SHIFT von der realen in die virtuelle Welt des Cyberspace bewirken, der netzsüchtige Jugendliche so gefangen nimmt, dass sie dessen Sphären mit der Realität verwechseln, wie bereits ausführlich in Teil 2 und 3 beschrieben: „Der Sog, den diese virtuelle Parallelwelt auf das Gehirn des Users ausübt, ist einfach zu groß, basieren dessen neurophysiologisch-kognitiven Funktionen wie Wahrnehmung, Denken und Erinnern im Wesentlichen doch ebenso auf Virtualität und spiegeln dem Menschen die Welt lediglich vor, die es – außer in seinem Kopf – sonst so nicht gibt. ... Der Cyberspace entlastet das per se träge, bevorzugt in eingefahrenen Gleisen arbeitende Gehirn, und vereinfacht dessen hochkomplexe und energieaufwendigen Transformations- und Täuschungsprozesse. Er setzt es gleichsam frei von Realität und lässt den Wahrnehmungsprozessen freien Lauf. Symptome einer Sucht, die primär auf neurophysiologischen, also gesunden hirnnervösen Prozessen beruht, ohne dass irgendein exogener physischer Suchtstoff mit dabei im Spiel wäre." (Teil 2)

„Es ist die auf Virtualität beruhende Weltrepräsentanz, mit der sowohl Gehirn als auch Cyberspace operieren und beide auf so fatale Art und Weise zusammenschweißt: Denn ganz im Gegensatz zur herkömmlichen Realität sind die kognitiven Hirnprozesse in den irrealen Sphären des Cyberspace kaum gefordert und haben leichtes Spiel – in ihnen gibt es nichts, das ins Virtuelle transformiert werden müsste: Schein und Sein sind identisch, die Dinge gestanzt und eindimensional und deren Sinn täuschend bunt, aber schal – eine seichte Welt ohne Geheimnis. Das von Hause aus träge Gehirn hat sich in der ihm extrem affinen Welt der Algorithmen eingerichtet und baut sich konsequenterweise neuroplastisch um.“ (Teil 3)

So gesehen ist die Internetabhängigkeit primär gar keine Krankheit, sondern eine fatale Interaktion zwischen Mensch und Cyberspace, dessen Gehirn sich die ihm adäquate Weltmaschine erschaffen zu haben scheint – es ist süchtig nach deren Realität. Virtualität trifft auf Virtualität. Eine evolutionsbiologisch fatale Koinzidenz – die DIGITALE MUTATION, die in letzter Konsequenz bis heute nicht adäquat verstanden wird und sich als Prozess der menschlichen Kontrolle entzogen zu haben scheint.

 

(1) Jean M. Twenge: iGen: Why Today’s Super-Connected Kids Are Growing Up Less Rebellious, More Tolerant, Less Happy--and Completely Unprepared for Adulthood--and What That Means for the Rest of Us. Atria Books. New York und London.