GESELLSCHAFT / 5
ALTE BILDER
Die Hoffnung trog. Deutschland zeigt sein altes, schrecklich bekanntes Gesicht. Auf den Bühnen seiner Öffentlichkeit gelangen erneut die aberwitzigen Szenen eines sattsam bekannten Stücks zur Aufführung. Sein Titel lautet Deutschland in Angst und könnte – wie vormals schon – ein Lehrstück sein, das Zeitgenossen den Irrsinn vor Augen führt, der droht. Aber niemand schaut hin. Wen interessiert noch Realität.
Stattdessen versetzt ein anderes Stück die Leute in Trance. Es ist eine Chimäre und findet jeden Abend in deutschen Wohnzimmern im TV statt. Oder rund um die Uhr im Netz. Ein Albtraum, der immer und immer wieder dieselben Sequenzen repetiert als sei das Leben draußen gestanzt und eine fatale Endlosschleife. Das Stück heißt Volk in Angst und bannt das Publikum. Präsentiert es ihm doch die Bilder seiner diffusen Angst und lässt sie gleichermaßen konkret und scheinbar lebendig werden. Dem Irrsinn im Kopf entsprechen die Bilder der Chimäre. Die Dinge zerflimmern, die Falle schnappt zu. Wahn, über all Wahn, hat Wagner seinen Sachs singen lassen. Dann wurde das Deutsche Reich gegründet. Keine guten Voraussetzungen.
Das Land ist verrückt geworden. Diesen Eindruck wird man nicht los, wenn man das Geschehen aus der Ferne betrachtet – denk ich an Deutschland in der Nacht. Es herrschen nachgerade psychotische Verhältnisse: Abgründige, kaum zu bändigende Angst. Chaotisches Denken – Wahn und Paranoia. Von wegen Hysterie. Die ist längst der Gewalt gewichen. Was heißt hier wehret den Anfängen!
In Wahrheit aber sind diese Exzesse nicht psychotischer Natur, sondern Ausgeburt eines kranken Geistes. Die des autoritären Charakters nämlich, den das deutsche Wesen –zumindest in seinen Residuen – bis heute nicht losgeworden ist: ein folgenschweres Erbe des 19. Jahrhunderts.
Auch die Jüngeren scheinen davon betroffen, obwohl ihnen Geschichte abhanden gekommen ist: Göring wird 2017 am Dschungelcamp teilnehmen. Warum nicht? Und dennoch, auch die Nachfahren entkommen der Geschichte nicht und haben die Angst geerbt, die sich in den Körpern eingepanzert hat wie ein Angstgeschwür. Ein epigenetisches Phänomen. Oder angelsächsisch: German Angst. Von wegen Anpassungsdruck: Auch die Jugend kuscht.
Der Versuch das Land des Terrors nach dem Zweiten Weltkrieg mit kapitalistischen Methoden zu befrieden, scheint fehlgeschlagen. Auch der Konsumismus konnte die deutsche Seele nicht besänftigen und ihr das autoritäre Wesen austreiben, an dem sie leidet. Die Minderwertigkeitsgefühle, die fatale Tendenz zur Selbsterhöhung machen es hochgefährlich. Und seine Untertänigkeit jedweder Autorität gegenüber und der fatale Hang, rassistischen Ideologien auf den Leim zu gehen, sogar unberechenbar. Dabei ist’s kein Wunder, dass auch der Kapitalismus daran nichts änderte, war der doch nie an Seelen interessiert. Seit je her sind ihm Seelen scheißegal.
Der autoritäre Charakter ist ein Pulverfass. Und wahrlich kein Randphänomen der Gesellschaft, sondern eines der Mitte. Das macht ihn brandgefährlich. In Zeiten der Unordnung und Unübersichtlichkeit droht er rasch die Fassung zu verlieren, dreht durch und schreit nach Sicherheit. Vor allem dann, wenn er sich dem Fremden gegenüber sieht wie gegenwärtig. Seine Willkommenskultur war lediglich Attitüde, sie kam nicht von innen. Vielleicht war sie ein unbewusster Reflex auf den Holocaust – wir Deutsche können auch anders.
Der Ruf nach Sicherheit verhallt. Und das zu Recht! Die Sicherheit, die eingefordert wird, ist nicht mehr zu haben. Warum sagt das niemand? Wer heute noch glaubt, die Erde gehöre ihm, wird nicht bestehen. Wer Festungen baut, wird darin verfaulen und an der eigenen Leere zugrunde gehen. Warum sagt das niemand?
Und dennoch: Deutschland bewaffnet sich, wenn Autorität schlingert. Eh man sich’s versah, sind aus Flüchtlingen Eindringlinge geworden. Und die müssen bekämpft werden, wenn keiner hilft – Selbstverteidigungswahn, Bürgerwehr. Waffen. Krieg. Wir sind das Volk.
Deutschland droht ein Bürgerkrieg, ist zu lesen. Blanker Euphemismus! Jeder Bürgerkrieg hat zumindest zwei Fronten zur Voraussetzung. Die aber scheint es gegenwärtig im Land nicht zu geben. Nur eine. Die Volksfront. Die Gegenkräfte haben sich in Luft aufgelöst. Selbst die Intellektuellen haben uns verlassen – nur Sloterdijks und Prechts sind uns geblieben. Der Totalitarismus steht im Raum. Wieder einmal. Für viele die konsequente Alternative, wie’s scheint.
Am Besten die Regierung löste das Volk auf und wählte ein neues sagt Brecht. Besser wäre es, das Volk könnte seine Ängste zügeln, die es zu Monstern macht. Am allerbesten aber wäre es das Volk bekäme endlich Angst vor sich selbst und würde innehalten – notgedrungen.
Das Ende der Diskursivität scheint gekommen.
Von wegen Massenkommunikation.
Ab morgen werde ich Idiot!