DER ARME FUCHS

15. Februar 2015

Es ist an der Zeit, den Fuchs endlich von seinem üblen Leumund zu befreien, der ihm und seiner Art ein listiges und vor allem durchtriebenes Wesen unterstellt. Derartige Vorurteile grenzen an Rassismus und erinnern schon im Ansatz an den weit verbreiteten Irrglauben, alle Muslime seien Terroristen. Nein, auch der Fuchs verdient Respekt, zählt das Tier doch ebenso wie der Mensch zu den Geschöpfen unter Gottes freiem Himmel und kann, wenn auch nicht unter allen Umständen, wie dieser ein richtig netter Kumpel sein. Also sollte man sich schleunigst darum bemühen, der im Grunde eher possierlichen Kreatur ohne große Vorurteile zu begegnen. Denn was sich für den Umgang mit dem Menschentier ziemt, sollte auch für den Fuchs gelten. Tier bleibt schließlich Tier!

Nun aber ist es einer zivilcouragierten Limburgerin völlig überraschend gelungen, dem hinterhältigen Fuchs-Bashing ein jähes Ende zu bereiten. Und das mit gehörigem, ja völlig unerwartbarem Erfolg. Dem eigenen Bekunden nach arbeitet die rechtschaffene Dame in einem Büro in unmittelbarer Nähe des historischen Rathauses, dessen Turm ein wirklich besonderes Glockenspiel ziert, das mit seinen dreiunddreißig Liedern im außergewöhnlich reichhaltigen Repertoire die Limburger immer wieder variationsreich zu überraschen weiß. Die Glöckchen, die ihre Glitzerklänge wie Zephirhauch durch Gassen und Winkel der Domstadt schweben lassen, haben zweifelsohne etwas Betörendes, ja vielleicht sogar Verzauberndes wie die in der Zauberflöte. Dies aber nur dann, wenn ihre Klanggirlanden, die sie durch die Luft tanzen lassen, auch wirklich die Herzen der Menschen erreichen, statt sie zu irritieren oder gar aus dem Rhythmus bringen.

So nämlich erging es erwähnter Dame, die hochsensibel und deshalb nachgerade zwangsläufig auch strenge Veganerin ist. Wohl über Jahre fühlte die sich an ihrem Arbeitsplatz immer wieder vom Volkslied Fuchs, du hast die Gans gestohlen überrumpelt, welches das Glockenspiel ihr vom nahegelegenen Rathausturm ins Trommelfell stichelte, wobei dessen fuchsfeindlichen Textzeilen, die der dünnhäutigen Veganerin natürlich geläufig waren, ein jedes Mal grauenerregende Bilder von blindwütigem Tiermord, blutverschmierten Schlachthauswänden und fetten Würsten der Fleischindustrie in ihr wachriefen, ohne sich, festgesetzt an ihrem Arbeitsplatz, der Horrorszenarien erwehren zu können. Gut, manch anderer hätte vielleicht Mac Donalds assoziiert, aber ein derartiger Schweinkram kam der das Tier Vergötternden natürlich nicht in den Sinn. Sie quälte sich aufrichtig und musste den brutalen Text im Kopf förmlich mitanhören:

Fuchs, du hast die Gans gestohlen,
gib sie wieder her!
Sonst wird dich der Jäger holen,
mit dem Schießgewehr.

Seine große, lange Flinte
schießt auf dich den Schrot,
dass dich färbt die rote Tinte

und dann bist du tot.

Liebes Füchslein, lass dir raten,
sei doch nur kein Dieb;
nimm, du brauchst nicht Gänsebraten,
mit der Maus vorlieb.

Man muss keine große Textinterpretation betreiben, um den Text, der täglich das Gemüt der Zartbesaiteten verdüsterte, zu dechiffrieren: Da ist – ganz einfach – zunächst der hinterhältige Jäger, welcher der Veganerin wieder und wieder das besinnungslose Niedermetzeln von arglosen Tieren vor Augen führte, was ihr wohl regelmäßig einen Schauder über den Rücken jagte. „Mir ging es weniger um die Gans, sondern um den Jäger, der den Fuchs in der nächsten Zeile abschießt“, beklagte sich die Dame. Und dann kam auch schon die rote Tinte in der zweiten Strophe auf sie zu, die die Erschreckte das Blut sehen ließ, das in alle Richtungen spritzte, wenn der Schrot der Flinte Adern und Fleisch des ahnungslosen Fuchses zerfetzte.

Der Hinweis jedoch, der Fuchs solle doch, bitte, von der Gans ablassen und besser zur Maus greifen, mag die Stimmung der Dame am Ende vielleicht ein wenig aufgehellt haben, schließlich wird dem Fuchs da noch eine Alternative zur Gans geboten. Dies aber leider nur wieder in Form von Fleischverzehr und nicht mit dem alles entscheidenden Hinweis, stattdessen doch besser auf Gras oder Blatt umzuschwenken, was schließlich auch für den Fuchs bei weitem gesünder wäre. Den Traum von einem rein veganen Tierreich durfte die Limburger Fleischverächterin also nie träumen, denn dafür fehlt der Text. Dem aber wäre mit einer vierten Strophe ohne großen Aufwand nachzuhelfen, auch um künftiger Hetze gegen das Lied vorzubeugen:

Willst du aber sicher sein,
friss das Blatt, den Klee,
lass die Mäuse Mäuse sein,
dann tust du niemand weh.

Jetzt aber hat sich die malträtierte Dame ein Herz gefasst und den Bürgermeister der Stadt inständig darum gebeten, das den Tiermord verherrlichende Lied aus dem Programm zu nehmen, um sie von den bösen Bildern, die es in ihr provozierte, zu befreien. Der Bürgermeister reagierte prompt und ließ das Lied unverzüglich aus dem Programm nehmen: „Wer bin ich, einen so freundlich vorgetragenen Wunsch abzuschlagen“, hat das Stadtoberhaupt den Vorgang kommentiert. „Schließlich wolle er keinen Glaubenskrieg zwischen Fleischessern und Veganern anzetteln.“ Eine wohl weise Entscheidung, wenn man an die ohnehin schon schwer gebeutelte Bürgerschaft Limburgs denkt, die ja – es ist noch nicht so lange her – eine schwere Glaubenskrise durchleben musste: Bischof Tebartz-van Elst und die Folgen.

„Eine empathische Geste“, sprang ihm der Vorsitzende der Veganen Gesellschaft Deutschlands in böser Vorahnung bei, räumte aber kleinlaut ein, „dass sich womöglich nicht jeder Limburger mit der Bitte identifizieren könne.“ Doch es half nichts: Die bundesweite Empörung ließ nicht lang auf sich warten und fegte als Shitstorm mit Vehemenz über den wohlmeinenden Bürgermeister, der zu allem Überfluss auch noch Hahn heißt, hinweg. Angezettelt von entrüsteten Fleischadepten, von wem sonst, die sich von Hahn übel herausgefordert sahen und ihn umgehend zum Rücktritt aufforderten.

Dieses rüde Verhalten brachte umgehend die Tierrechtsorganisation Peta auf den Plan, die Hahn und der veganen Dame zur Seite sprang. „Die Jagd auf Füchse sei unnötig und grausam“, ließ sie verlauten und forderte Hahn auf, das skandalöse Lied dauerhaft aus dem zu Programm nehmen. "Altertümliche Lieder wie dieses oder auch Märchen wie ‚Rotkäppchen und der böse Wolf' sind leider noch immer weit verbreitet und senden vor allem an Kinder ein falsches Zeichen, indem sie ein schlechtes Licht auf bestimmte Tiere werfen."

Prompt hakte der Vegetarierbund Deutschlands nach und setzte noch eins drauf: "Wir erleben in unserer Gesellschaft gerade einen grundlegenden Wandel unserer Einstellung zum Thema Ernährung. Solche Veränderungen brauchen immer eine gewisse Zeit und erzeugen oft zunächst auch Diskussionen und Widerstände", ließ der Geschäftsführer des Fleischhasserbunds die aufgebrachten Bürger der Republik wissen, von denen mutmaßlich wohl kaum einer das Glockenspiel je gehört hat. Außerdem sei es gut, „Traditionen kritisch zu hinterfragen“, ergänzte der philosophierende Geschäftsführer. „Wenn sie nicht mehr zeitgemäß sind, sollten wir uns von ihnen verabschieden. Unsere Tradition ist so vielfältig, dass sie nicht gleich daran zusammenbricht, wenn wir uns von einem Lied trennen.“

Vom schwer gerupften Hahn ist allerdings kaum noch etwas zu hören. „Er denke an eine Schonfrist für den Fuchs, wolle das Lied jedoch in einigen Wochen wieder spielen“, lässt er die Leute wissen. Wahrscheinlich träumt er von den Bremer Stadtmusikanten. Da sitzt der Hahn nämlich obenauf und alles tanzt nach seinem Gekrächze.