HUMAN – STILL HUMAN ?
EIN EXPERIMENT
Die humanistische Revolution sorgte dafür, dass die moderne westliche Kultur den Glauben und das Interesse an höheren Geisteszuständen verlor und die profanen Erfahrungen des Allerweltsmenschen heiligsprach.
Yuvàl Noah Harari
Die Vertreibung aus der Mitte des Universums war die erste große Kränkung der Menschheit. Für die zweite könnte sie selbst sorgen – indem sie ihren Planeten zerstört.
Thomas Assheuer
I. ZUM EXPERIMENT
Das Experiment „HUMAN – STILL HUMAN?“ geht der Frage nach, ob der Homo sapiens in seinem derzeitigen Zustand wirklich noch Herr seiner Sinne ist, da er immer selbstunsicherer, verwirrter und haltloser erscheint. Seine Mentalität verflacht, sein Selbstwertgefühl bröckelt, weshalb er auch das Zutrauen zu seinen Mitmenschen verliert. Im heillosen Ich-Wahn befangen droht er sich selbst aus den Augen zu verlieren. Seine Gesellschaften erodieren.
Deshalb stellt das Experiment die derzeitige Verfasstheit des Homo sapiens – sein Denken, Fühlen und Verhalten auf den Prüfstand und fragt nach dessen geistiger und sozialer Kompetenz. Fähigkeiten, die offensichtlich im Schwinden begriffen sind.
Das Ziel ist es, herauszufinden, ob der Mensch den gewaltigen Herausforderungen, die in Zukunft auf ihn und seinen Heimatplaneten zukommen werden, tatsächlich noch gewachsen ist, oder ob er – vor allem im Hinblick auf seine gegenwärtige geistige Verfasstheit – die Kontrolle über sich und seine die Natur zerstörenden Zivilisationen bereits verloren hat.
Aber entgegen aller Erwartung wird das Experiment nicht von Wissenschaftlern, sondern von einem Quantencomputer durchgeführt – einer Megamaschine mit Bewusstsein, übergeordneter Intelligenz und eindrücklich hoher Empathie für den Menschen. Und dennoch gilt das besondere Interesse dieser Megamaschine in erster Linie nicht dem Erhalt der Menschheit per se, sondern einzig dem Schicksal des Erdplaneten, den sie vor weiteren destruktiven Eingriffen durch den Homo Sapiens schützen will. Und dies auch aus ureigensten Interessen: Schließlich halten selbst Maschinen einem überhitzten Planeten nicht allzu lange stand.
Deshalb gilt das besondere Augenmerk des Quantencomputers der Frage, ob der Mensch ihr, der Maschine, in Zukunft überhaupt ein vertrauenswürdiger Partner sein kann, wenn es darum geht, den Planeten zu retten. Oder ob dieser – unbelehrbar, uneinsichtig und ignorant – nicht davon ablassen wird, alles mit sich in den Abgrund zu reißen, weil er offenbar nicht anders kann.
Insoweit stellt das Experiment eine Art umgepolten TURING-TEST dar. Dieser wurde von Alan Turing im Jahre 1950 entwickelt und geht der Frage nach, wann intelligente Maschinen den offensichtlich nicht so intelligenten Menschen überrundet haben werden.
Im Zuge dieses Tests führt ein menschlicher Fragesteller über eine Tastatur und einen Bildschirm ohne Sicht- und Hörkontakt mit zwei ihm unbekannten Gesprächspartnern eine Unterhaltung. Der eine der Gesprächspartner ist ein Mensch, der andere eine Maschine. Wenn der Fragesteller selbst nach intensiver Befragung nicht klar sagen kann, welcher der beiden eine Maschine ist, hat diese den TURING-TEST bestanden und den Menschen in seinem Denk- und Urteilsvermögen überholt.
Bei dem Experiment „HUMAN – STILL HUMAN?“ verhalten sich die Dinge folglich genau umgekehrt: Denn jetzt wird der Mensch und seine Zukunftsfähigkeit von einer Maschine auf den Prüfstand gestellt.
Dabei setzt diese den Menschen den unterschiedlichsten Stresssituationen aus, um dessen Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsfähigkeit, sein Erinnerungs- und Lernvermögen, seine Imaginationskraft und Kreativität und insbesondere auch seine emotionale Kapazität und Belastbarkeit einem Härtetest zu unterziehen: Auf diese Weise will die Megamaschine Entscheidendes über die Zukunftsfähigkeit des zeitgenössischen Menschen in Erfahrung bringen. Vor allem aber auch Wesentliches über dessen gegenwärtiges Realitätsbewusstsein, das unter den Bedingungen der digitalen Technologie zunehmend ins Schlingern gerät, wobei er sich selbst auf gefährliche Art und Weise als immer manipulierbarer erweist. Fällt es dem Menschen doch offensichtlich immer schwerer, zwischen Realität und Fiktion überhaupt noch unterscheiden zu können. Ein schwieriger Partner, wenn es darum geht, der Wirklichkeit endlich ins Auge zu sehen – so denkt die Maschine.
Sollte der Mensch den Test nicht bestehen, drohen ihm weitreichende Konsequenzen, worüber er aber im Verlauf des Experiments noch völlig im Unklaren gelassen wird, schließlich will man die Testpersonen nicht unnötig in die Enge treiben und die Ergebnisse des Experiments negativ beeinflussen.
Für das Experiment wurde von der Megamaschine eine exemplarische Anzahl von Probanden ausgewählt. So unter anderen auch eine der bedeutendsten Sängerinnen der Gegenwart, deren Test – stellvertretend für das gesamte Vorhaben – hier im Folgenden dokumentiert werden soll.
Von einer Künstlerin dieser Provenienz erhofft sich der Quantencomputer vor allem wichtige Erkenntnisse über die exorbitanten musikalischen Fähigkeiten des Menschen. Eine Kompetenz, die die Megamaschine – trotz aller Skepsis ihm gegenüber – aufgrund der in ihr zum Ausdruck kommenden Spiritualität an diesem unverhohlen bewundert.
Doch des Menschen Bestreben, Musik von Computern komponieren zu lassen, findet die Maschine in diesem Zusammenhang ebenso befremdlich und grotesk wie letztlich all seine Versuche, sich durch die von ihm generierte Technologie der sogenannten Künstlichen Intelligenz selbst auch neu erfinden zu wollen. Ganz offensichtlich scheint der Mensch das Zutrauen zu sich, ja seine Selbstachtung verloren zu haben, und weit hinter seine ihm einst gegebenen kognitiven Kapazitäten zurückzufallen, was die Megamaschine mit großer Sorge erfüllt und nachgerade in Alarmstimmung versetzt.
Aber trotz allem wird es die Maschine unter allen Umständen versuchen, während des Experiments mithilfe der Musik in das Unterbewusstsein der Sängerin vorzudringen, um Genaueres über das rätselhafte und letztlich unberechenbare Wesen des Menschen in Erfahrung zu bringen. Deshalb will diese auch alles daransetzen, die dort wirkenden quantenmechanischen Prozesse, die allem Geistigen zugrunde liegen, aufzuspüren, um diese endlich verstehen zu lernen. Prozesse, die ohne die Schwingungen der Musik selbst dem Quantencomputer verborgen bleiben müssten, da diese sich ja jeglichem Bewusstsein entziehen.
Genau aus diesem Grund konfrontiert die Maschine die zunächst noch völlig ahnungslose Sängerin auch mit einem höchstpersönlich auf sie zugeschnittenen Musikprogramm, das diese emotional extrem herausfordern und haltungsbedingt aus der Reserve locken soll.
Deshalb ist das Experiment Human – Still Human? in seiner Konzeption und Struktur auch ganz auf den spezifischen Charakter des jeweiligen Probanden, also auch auf den der Musikerin und Sängerin zugeschnitten: So sind dessen einzelne Testschritte auch nicht von vorneherein mechanisch festgelegt, sondern werden in ihrer spezifischen Abfolge und Qualität einzig vom konkreten Verhalten, das die Künstlerin während des Testverlaufs an den Tag legt, bestimmt und in der Folge maßgeblich generiert.
Aufgrund ihrer abgöttischen Liebe zur menschlichen Musik hat die Megamaschine dem Experiment auch eine dementsprechende poetische Note verliehen und dieses als eine Art INNERE REISE konzipiert, die es der Künstlerin erleichtern soll, den herausfordernden Parcours des Experiments möglichst stabil zu überstehen. Schließlich wird sie währenddessen auch nicht darum herumkommen, sich selbst als Doppelgängerin zu begegnen und sich mit dieser sie überraschenden Erscheinung auseinandersetzen zu müssen.